War Hedwig Harrwitz die erste Berliner Meisterin?
von Frank Hoppe
Als ich vor rund fünf Jahren im Jahrgang 1927 der Deutschen Schachzeitung stöberte, war ich nicht schlecht überrascht, einen Hinweis auf eine Berliner Damenmeisterschaft im selben Jahr zu finden. Bis dahin kam ich bei meinen Recherchen lediglich zurück bis ins Jahr 1933 als Fräulein Martha Daunke den Titel gewinnen konnte.
Der Name Hedwig Harrwitz war mir bisher lediglich bekannt in Zusammenhang mit dem Weltklassespieler des 19. Jahrhunderts, Daniel Harrwitz. Ist Hedwig eine Verwandte von Daniel?
Als ich nach dem Namen Hedwig Harrwitz (* 10.10.1885 in Breslau) googelte hatte ich erstaunlich viele Treffer, was auch darin begründet, daß die Familie Harrwitz während der Nazidiktatur 1933-45 verfolgt und am 10. September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Die 57-jährige Hedwig und ihrem 25 Jahre älterer Mann Max wurde damals wahrscheinlich wie vielen anderen ein blühender Altersruhesitz vorgegaukelt. Max (* 02.12.1860 in Berlin) wurde 13 Tage später ermordet. Hedwig kam am 16. Mai 1944 nach Auschwitz, wo sich ihre Spur verliert. Als die Rote Armee im Januar 1945 das Lager befreite, waren die meisten der Insassen schon verlegt (Todesmärsche) oder ermordet.
Hedwig Harrwitz, geb. Peierls, wurde am 10. Oktober 1885 als älteste von zwei Töchtern der Eheleute Julius und Amalie Peierls, geb. Brieger, in Breslau geboren. Wann Max Harrwitz und Hedwig Peierls geheiratet haben, ist nicht bekannt. Sie soll (s)eine Schachpartnerin gewesen sein. Ihrer jüngeren Schwester Else, 1888 in Breslau geboren, gelang es zusammen mit ihrem Mann Salo Loeb und ihren drei Kindern, 1940 in die USA zu entkommen. [...]
Dieselbe Quelle enthält ausführliche Informationen zu ihrem Mann, der in Berlin als guter Schachspieler bekannt war:
[...] Maximilian Gideon Albrecht Willibald Harrwitz, so sein vollständiger Name, wurde am 2. Dezember 1860 als jüngster Sohn des Verlegers Dr. Julius Harrwitz (geb. 1819 in Breslau, gest.1875 in Berlin), Mitinhaber des Dümmler-Verlages, und seiner zweiten Frau Emilie, geb. Milch, in Berlin geboren. Er besuchte das Askanische Gymnasium, eine humanistische Eliteschule in der Halleschen Straße 24-26 in der Berliner Friedrichsvorstadt. Wie sein Vater wurde Max Harrwitz Verleger, Buchhändler und Antiquar. Bis 1908 befanden sich seine Geschäftsräume in der Potsdamer Straße. Dann siedelte er zusammen mit seinem Bruder Fritz (1859-1936), der u.a. die „Zeitschrift für Feinmechanik“ herausgab, in das gemeinsame Haus in der Normannenstr. 2 in Nikolassee über. Beide hatten bis dahin in der Wichmannstr. 17 gewohnt. Max Harrwitz verlegte vielfach vergriffene Werke der Weltliteratur, schrieb auch selbst als Bibliophiler und Fachmann für Exlibris Beiträge in Büchern und Fachzeitschriften. Er war Mitglied in zahlreichen Vereinen, darunter in der Berliner Sektion des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins, der Gesellschaft für Deutsche Literatur, der Gesellschaft der Bibliophilen und dem Schwäbischen Schiller-Verein. Zudem war er ein begeisterter Schachspieler. Bis 1921 erschienen zahlreiche Antiquariatskataloge, die sich in verschiedenen Bibliotheken erhalten haben. Eine Autographensammlung mit 75 Korrespondenten hat er 1938 an die Sammlung Darmstädter, eine damals eigenständige Institution, heute im Bestand der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, verkauft. Vermutlich brauchte er Geld. Max Harrwitz wurde 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und zur Auflösung seines Geschäfts gezwungen. [...]
Zum Verbleib des Ehepaars schreibt die Quelle weiter:
[...] Die Eheleute verkauften ihr Haus 1939 an den Chef der Rigaer Feuerwehr. Noch vorher verloren sie ihren Bücherbestand, den die Gestapo Ende 1938 aus der Normannenstraße abholen ließ. Das Paar konnte das Haus weiter bewohnen und nahm in der Folgezeit mehrere Juden als Untermieter auf. Vier von ihnen konnten emigrieren. Ernst Reichenbach starb 1940 in der Normannenstraße, seine Frau Rosalie überlebte das KZ. Jeannette Reichenbach wurde einen Tag nach dem Ehepaar Harrwitz aus dem Hause abgeholt und starb sechs Wochen später in Theresienstadt. Martha Reichenbach verlor ihr Leben 1943 in Auschwitz. Nach einem langwierigen Restitutionsverfahren (1949–1960) erhielt die Erbin Else Loeb das Haus zurück erstattet. Als Entschädigung für den verlorenen Bücherbestand wurden ihr 5000 DM zugesprochen. Das Landgericht setzte sich damit über Zeugenaussagen hinweg. So hatten drei Nikolasseer Bürger aus Eigennutz versucht, den Verkaufspreis des Hauses als angemessen darzustellen und Max Harrwitz’ Ruf nachträglich zu schädigen – mit dem Vorwurf, er habe pornografische Literatur vertrieben.
Deportation
Hedwig Harrwitz wurde zusammen mit ihrem Mann am 10. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Der Transport I/63, č. 6454 umfaßte 100 Personen, von denen nur fünf den Holocaust überlebten. Für Max ist die č. 6453 registriert.
Am 16. Mai 1944 wurde Hedwig mit dem Transport Ea, č. 1356 in das KZ Auschwitz verlegt, zusammen mit 2.492 anderen Menschen. Nur 34 erlebten die Befreiung durch die Rote Armee. Hedwig gehörte nicht zu ihnen.
Quelle
www.holocaust.cz (Personeneintrag Hedwig)
www.holocaust.cz (Personeneintrag Max)
Stolpersteine
Die Stolpersteine für Hedwig und Max Harrwitz wurden am 10. September 2010, genau 68 Jahre nach deren Deportation, in "einer sehr berührenden Feierstunde" vor dem Haus Normannenstraße 2 in Berlin Zehlendorf verlegt.
Quelle
Hedwig Harrwitz
Hedwig; * 1885 in Breslau † 1944 in Auschwitz
Hedwig Peierls, aus Breslauer jüdischer Familie, heiratete 1938 den Berliner Verleger und Antiquar Max Harrwitz. Eintrag im Gedenkbuch/Bundesarchiv: Harrwitz, Hedwig geb. Peierls * 10. Oktober 1885 in Breslau wohnhaft in Berlin Deportation: ab Berlin 10. September 1942, Theresienstadt, Ghetto 16. Mai 1944, Auschwitz, Vernichtungslager
Quelle
Max' Vater Julius Harrwitz
- * 03.10.1819 in Breslau
- 09.10.1847 Hochzeit mit Therese Gossmann († 17.04.1851)
- 04.07.1848 Geburt von Sohn Hans
- 1858 heiratet er wieder neu und bekommt 1859 und 1860 noch zwei Söhne
- † 22.03.1875 Berlin. Er wurde auf der Straße von einem Fahrzeug überfahren.
Julius Harrwitz war Verleger, Antiquar und Miteigentümer von Ferdinand Dümmler's Buchhandlung in Berlin.
Kommentare
Kommentar von JP |
Guten Tag Herr Hoppe, Max Harrwitz war der Sohn von Julius Harrwitz. Julius Harrwitz war einer der Brüder von Daniel Harrwitz. Hedwig Harrwitz geb. Peierls kam durch Heirat dazu... was vielleicht am Schachspiel gelegen hat...
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